Beschwerde über anderen Mieter
Muss der Hinweisgeber vom Vermieter benannt werden?
20.04.2022Der Datenschutz bringt es mit sich, dass nicht nur der VIII. Zivilsenat etwas zum Verhältnis Mieter und Vermieter sagt, sondern diesmal der VI. Zivilsenat. Er ist für Datenschutz zuständig. Es geht um einen alltäglichen Fall. Ein Mieter beschwert sich über seinen Nachbarn. Dieser Nachbar erfährt von einer Beschwerde und will wissen, wer das war. Dieses Auskunftsbegehren macht er nicht mietrechtlich geltend, sondern beruft sich auf seinen Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO. Mit Erfolg?
Nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO hat der Auskunftsberechtigte einen Anspruch auf Mitteilung aller verfügbaren Informationen über die Herkunft der Daten, soweit die verarbeiteten Daten nicht bei ihm selbst erhoben wurden. Damit muss bei Informationen mit Personenbezug grundsätzlich auch der private Hinweisgeber gegenüber dem Auskunftsberechtigten als Datenquelle offengelegt werden, allerdings nur dann, wenn in der konkreten Situation Rechte oder Freiheiten des Hinweisgebers nicht beeinträchtigt werden. Der BGH hatte nun den folgenden Fall zu entscheiden:
Der Fall:
Die Hausverwaltung erhält von einem Mieter eine Beschwerde über einen anderen Mieter im Zusammenhang mit Geruchsbelästigungen und Ungezieferbefall im Treppenhaus. Die Hausverwaltung kündigt daraufhin beim Mieter der störenden Wohnung eine Wohnungsbegehung an. Der betroffene Mieter verlangt in der Folge nach Art. 15 DSGVO Auskunft darüber, welcher Mieter sich über ihn beschwert hat. Die Vorinstanzen haben das Auskunftsbegehren abgelehnt, weil die Hausverwaltung mit der Offenlegung der begehrten Informationen die Rechte des Hinweisgebers, sowie ihr eigenes Interesse an einer effektiven Aufgabenerfüllung und an der Erhaltung des Friedens der Hausgemeinschaft beeinträchtigen würde.
Das Urteil:
Der BGH sieht das anders. Laut BGH umfasst der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO dann Angaben zum Hinweisgeber, wenn es sich bei den Hinweisen um unrichtige Tatsachen handelt. Weil dem Auskunftsberechtigten in diesem Fall ggf. Unterlassungsansprüche nach § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 BGB Abs. 1 iVm Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gegen den Hinweisgeber zustehen, würden seine Interessen an der Offenlegung der Daten den berechtigten Interessen des Hinweisgebers an deren Geheimhaltung überwiegen - dies jedenfalls dann, wenn für den Hinweisgeber nicht ausnahmsweise ein konkretes Schutzbedürfnis besteht, das ein Auskunftsrecht überwiegendes Geheimhaltungsinteresse begründet. Da die Frage der sachlichen Richtigkeit der behaupteten Tatsachen von der Vorinstanz ausdrücklich offengelassen wurde, hat der BGH die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (Urteil vom 22.2.2022, Az. VI ZR 14/21).
Anmerkung:
Bei Angaben zu (Geruchs- oder Lärm-) Immissionen, handelt es sich dann, wenn der Bezug zu einer konkreten Wohnung hergestellt werden kann, um Umstände die den Mieter dieser Wohnung betreffen und damit um personenbezogene Daten iSv Art. 4 Ziff. 1 DSGVO. Indem die Hausverwaltung eine Beschwerde zu derartigen Umständen zum Gegenstand ihrer Sachbearbeitung macht und/oder die Eingabe speichert, verarbeitet sie die Daten automatisiert bzw. jedenfalls innerhalb eines Systems, dass die Wiederauffindbarkeit nach bestimmten Kriterien ermöglicht (z.B. in der Mieterakte zum betreffenden Objekt), und damit in einem Dateisystem iSv Art. 4 Ziff. 6 DSGVO. Für die Verarbeitung von personenbezogenen Daten anlässlich einer Beschwerde über Mieter ist deswegen nach Art. 2 Abs. 1 DSGVO der Anwendungsbereich der DSGVO eröffnet. Gegenüber dem verantwortlichen Verwalter hat der betroffene Mieter folglich die Betroffenenrechte nach den Artt. 12 ff. DSGVO- und damit auch den Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO.
Der Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO darf entsprechend dem Erwägungsgrund 63 zur DSGVO die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen. Damit hat der Verantwortliche bei Auskunftsverlangen, von denen auch personenbezogene Daten anderer Beteiligter betroffen sind, grundsätzlich eine Abwägung zwischen den Interessen der beteiligten Personen zu treffen.
Unabhängig davon handelt es sich bei der Offenlegung der personenbezogenen Daten des Hinweisgebers gegenüber dem auskunftsberechtigten Mieter ebenso um eine „Verarbeitung“ iSd DSGVO (s. Art. 4 Ziff. 2 DSGVO), die durch einen Rechtfertigungsgrund gedeckt sein muss. Wenn es an einer Einwilligung des Hinweisgebers zur Datenweitergabe fehlt (Art. 6 Abs. 1 (a) DSGVO), dann ist Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit der Datenweitergabe die Bewertung der berechtigten Interessen des Hinweisgebers nach Art. 6 Abs. 1 (f) DSGVO. Der BGH stellt sich hierbei auf den Standpunkt, dass die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der vom Hinweisgeber mitgeteilten personenbezogenen Daten eine maßgebliche Rolle spielt; hierneben kommt es darauf an, ob ein konkretes Schutzbedürfnis des Hinweisgebers besteht, welches ein Geheimhaltungsinteresse begründet, das dem Auskunftsanspruch überwiegt. Für sämtliche Umstände, die dazu geeignet sind, den Auskunftsanspruch einzuschränken, trägt die, für die Datenverarbeitung verantwortliche Hausverwaltung die Darlegungs- und Beweislast.
Und nun?
Was bedeutet das für den Verwalter in der Praxis? Geruchs- oder Geräuschimmissionen aus Wohnungen oder sonstige Störungen, die von Mietparteien ausgehen, sind selten Gegenstand der eigenen Wahrnehmung des Verwalters. Im Ergebnis würde das bedeuten, dass der Verwalter im Zweifel jedem Verlangen auf Auskunft über den Hinweisgeber nachkommen müsste, weil ihm nicht bekannt ist, ob die angezeigten Umstände richtig oder unrichtig sind und ob ggf. ein überwiegendes Interesse des Hinweisgebers an der Geheimhaltung vorliegt. Diese Verfahrensweise wäre jedoch gleichfalls datenschutzwidrig, weil bei sich gegenüberstehenden Interessen immer eine Abwägung im konkreten Einzelfall erforderlich ist. Deswegen sollte der Verwalter bei Hinweisen zu Störungen, die Bezug zu anderen Mietern haben, zum einen versuchen, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der mitgeteilten Umstände zu evaluieren, z.B. indem er weitere Zeugen für die Behauptungen ermittelt, den Hauswart befragt oder eine eigene Inaugenscheinnahme vor Ort vornimmt. Zum anderen muss der Verwalter den hinweisgebenden Mieter darüber informieren, dass seine personenbezogenen Daten im Falle eines diesbezüglichen Auskunftsverlangens an den (mutmaßlich) störenden Mieter ggf. offengelegt werden müssen.
Im Rahmen der Information ist der hinweisgebende Mieter auf die Rechtsgrundlage (Art. 6 Abs.1 (f) DSGVO) für die Offenlegung seiner personenbezogenen Daten und u.a. auch auf sein Widerspruchsrecht nach Art. 21 Abs. 1 DSGVO hinzuweisen, wonach ihm als von dem Verarbeitungsprozess „Offenlegung“ Betroffenen das Recht zusteht, aus Gründen, die sich aus seiner besonderen Situation ergeben, Widerspruch gegen die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten einzulegen.
Auf diese Weise kann der Verwalter bereits im Vorfeld zum Auskunftsverlangen eine Einschätzung darüber gewinnen, ob im konkreten Fall ein dem Auskunftsrecht überwiegendes Geheimhaltungsinteresse vorliegt. Jedenfalls dann, wenn eine mitgeteilte Behauptung nachweislich richtig ist und/oder, wenn der Hinweisgeber im Rahmen seines Widerspruchsrechts konkrete Tatsachen mitteilt, die sein überwiegendes Interesse an der Geheimhaltung begründen (z.B. vorangegangene tätliche Angriffe des störenden Nachbarn), kann die Einzelfallprüfung zu dem Ergebnis führen, dass der Hinweisgeber nicht offenzulegen ist.