Wann muss ich belehren? Und was gilt noch alles?

Wann muss ich belehren? Und was gilt noch alles?

Der Widerruf von Mietverträgen nach §§ 312ff, 355 ff BGB

22.03.2023
Ein Urteil aus Berlin sorgte für Aufsehen. Auch wir haben berichtet. Ein Mieter widerrief seinen Mietvertrag nach elf Monaten und erhielt seine Miete zurück, obwohl er in der Wohnung wohnte. Dies ist der Worst-Case. Der folgende Beitrag soll Ihnen einen Leitfaden geben, wann das Widerrufsrecht besteht und wie sinnvoll damit umgegangen werden sollte. 

A. Wann besteht das Widerrufsrecht?

Grundsätzlich ist es so, dass nach §§ 312ff, 355ff BGB Mietern von Wohnraum (Verbraucher) beim Abschluss des Mietvertrags ein Widerrufsrecht zusteht, wenn 

1. der Vermieter ein Unternehmer ist und
2. der Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen oder ausschließlich mit Fernkommunikationsmitteln geschlossen wurde.

Davon gibt es Ausnahmen:

3. Bei im Fernabsatz geschlossenem Vertrag besteht kein Widerrufsrecht, wenn der Vertrag nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems geschlossen wurde 

oder

4. bei Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Wohnraummietverträgen, wenn die Wohnung vor Vertragsschluss besichtigt wurde.

Hintergrund dieser so genannten Verbraucherrechterichtlinie ist, dass Verbraucher geschützt werden sollen vor Überrumpelungen, z.B. an der Haustür, oder vor Geschäften, die sie noch nicht genau beurteilen können (wie beim Kauf von Gütern im Internet). Hier wird den Verbrauchern ein Widerrufsrecht eingeräumt. Wichtig ist zu beachten, dass die Widerrufsfrist mit Belehrung 14 Tage beträgt, aber ohne Belehrung ein Jahr und 14 Tage. Es kommt daher auf die Belehrung an.

B. Wann ist der Vermieter Unternehmer?

Ein Unternehmer handelt in Ausübung seiner gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handeln (§ 14 BGB). Es kommt daher darauf an, ob die Vermietung gewerblich ausgeübt wird. Die bloße Verwaltung eigenen Vermögens reicht hier nicht.
 
Aber so einfach ist das nicht. Die Rechtsprechung schaut hier, ob für die Vermietung aller Wohnungen/Gebewerbeflächen des Vermieters ein planmäßig eingerichteter Gewerbebetrieb samt Organisation benötigt wird. Einfach ausgedrückt, es kommt auch auf die Anzahl der Wohnungen an. Die Unternehmereigenschaft wird bejaht, bei der Vermietung von 6 Wohnungen (AG Köln), aber auch abgelehnt bei 8 Wohnungen (LG Waldshut-Tiengen). Der BGH setzt bei der Beurteilung, ob der Vermieter ein Informationsübergewicht hat. Wenn das der Fall ist, dann ist er Unternehmer. Der BGH bejahte dies bei 10 Mietwohnungen. 

Da wir hier ja, den Worst-Case vermeiden wollen, sollten vorsichtshalber auch Vermieter von nur 3 oder mehr Wohnungen sich selbst als Unternehmer betrachten. Übrigens, wer einen Verwalter beauftragt hat, hat immer ein Informationsübergewicht und gilt für dieses Thema hier als Unternehmer.

C. Wann besteht das Widerrufsrecht - Szenarien?

Szenario 1: Mieter unterschreibt innerhalb Geschäftsräume (des Vermieters bzw. der Verwaltung) auf Papier

Die unter A 2. beschriebene Voraussetzung liegt nicht vor. Ein Widerruf nach §§ 312ff, 355ff BGB ist nicht möglich. Daher braucht die Widerrufsbelehrung nicht beigefügt zu werden.

Szenario 2: Mieter unterschreibt innerhalb Geschäftsräume (des Vermieters bzw. der Verwaltung) elektronisch (e-signatur)
siehe Szenario 1. Die Art der Unterschrift spielt bei der Beurteilung keine Rolle. Es kommt lediglich auf den Vertragsschluss an, dieser kann auch mündlich erfolgen.

Szenario 3: Mieter unterschreibt außerhalb Geschäftsräume auf Papier (Vertrag per Post erhalten) 

Dieser Vertrag wurde im Wege von Fernkommunikationsmitteln, nämlich der Post, geschlossen. Die unter 2. genannte Voraussetzung ist daher gegeben. 

Dann sind die Ausnahmen zu prüfen und hier zunächst, ob dies im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems geschieht. Eigentlich haben weder Hausverwalter noch Vermieter ein solches Vertriebssystem. Allerdings gilt hier Folgendes:

Da es um eine verbraucherschützende Regelung geht, ist dieser Begriff weit auszulegen. Das Landgericht Berlin hat in seiner Entscheidung vom 21.10.2021 darauf abgestellt, dass die Mietvertragsverhandlungen ausschließlich per E-Mail erfolgten, ebenso wie dort der Vertragsschluss. Dann hätte der Vermieter im Gerichtsprozess vortragen müssen, dass er kein solches Vertriebssystem hat. Er hat dies nicht getan. 

Für das Szenario mit der Post heißt dies, dass wenn die Verhandlungen und der Vertragsschluss ausschließlich per Telefon und Post geschehen ist, muss der Vermieter erklären, warum er Mietverträge per Post „vertreibt“ und trotzdem kein für den Fernabsatz organisiertes System hat. Was genau dann vorgetragen werden muss, ist offen. Bisher gibt es dazu keine aussagekräftige Rechtsprechung.

Es ist damit nicht auszuschließen, dass ein Widerrufsrecht besteht, vielmehr besteht hier eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür. 

Die Empfehlung ist hier ganz klar, dass eine Widerrufsbelehrung beigefügt werden sollte, wenn die Wohnung nicht besichtigt wurde. Dazu dann unten unter Szenario 4.

Szenario 4: Mieter hat die Immobilie nicht besichtigt bzw. Wie ist das nun mit der Besichtigung?

Diese Ausnahme muss auch wieder der Vermieter beweisen, eben weil es eine Ausnahme ist. Daher lautet die klare Empfehlung: Wenn besichtigt wird, sollten sich Vermieter / Verwalter dies bestätigen lassen.

Alternative a) Der Mieter hat nicht besichtigt:
Der Vertrag unterliegt dem Widerrufsrecht. Eine Belehrung sollte erfolgen.

Alternative b) Der Mieter hat die konkrete Wohnung besichtigt:
Es besteht kein Widerrufsrecht unabhängig von der Frage, wo und wie der Vertrag geschlossen wurde. Die Besichtigung einer (baugleichen) Musterwohnung reicht nicht.

Alternative c) Ein Vertreter des Mieters hat die konkrete Wohnung besichtigt, aber nicht der Mieter selbst:
Hier gilt Alternative b), das Widerrufsrecht besteht nicht. Zwar hat hier nicht der Mieter selbst besichtigt, aber das Wissen des Vertreters wird ihm zugerechnet. Ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass Rechtsprechung dazu noch nicht veröffentlicht ist.

Alternative d) Einer von mehreren Mietern hat besichtigt:
Hier gilt Alternative a), das Widerrufsrecht besteht. Rechtsprechung gibt es auch dazu bisher nicht. Die meisten Quellen legen aber das Wort „Mieter“ in § 312 Abs. 4 BGB als Mietergesamtheit aus, so dass auch alle besichtigen müssen, damit die Ausnahme des § 312 Abs. 4 BGB greift. 

Alternative e): Die Besichtigung findet online statt:
Siehe Alternative a), der Mieter muss in der Wohnung physisch anwesend gewesen sein. Eine virtuelle Besichtigung reicht damit nicht aus, um das Widerrufsrecht auszuschließen.

Alternative d) Die Besichtigung wird angeboten und der Mieter nimmt diese nicht wahr:
Siehe Alternative a), auf das Angebot der Besichtigung kommt es nicht an.

D. Das Widerrufsrecht besteht. Wie lange kann der Mieter widerrufen? 

Wenn das Widerrufsrecht besteht, kann der Wohnraummieter den Mietvertragsabschluss binnen 14 Tagen nach Vertragsschluss widerrufen, wenn über den Widerruf belehrt wurde.

Diese Frist beginnt mit dem Vertragsschluss, also wenn beide Parteien Mieter und Vermieter den Mietvertrag „unterschieben“ also geschlossen haben.

Wenn nicht zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses über das Widerrufsrecht belehrt wurde, beginnt die 14-Tage Frist erst mit dem Zugang der Belehrung.

Wenn nicht belehrt wird, endet die Widerrufsfrist nach einem Jahr und 14 Tagen.

D. Das Widerrufsrecht besteht. Kann ein Verzicht vereinbart werden, wenn der Mieter kurzfristig einziehen soll? 

Ja, wahrscheinlich. Hier könnte § 356 Abs. 4 Nr. 2 BGB gelten. Vom Wortlaut passt das nicht, denn es geht um Dienstleistungsverträge. Hier sollen Dienstleister (wie Rechtsanwälte) davor geschützt werden, die Leistungen zu erbringen und dann keine Vergütung zu erhalten, weil der Verbraucher widerruft. Die juristische Literatur geht hier davon aus, dass auch Mietverträge von dieser Ausnahme umfasst sind, obwohl das eigentlich nicht so richtig passt.

Nach dieser Vorschrift würde das Widerrufsrecht erlöschen, wenn bei einem Vertrag, der den Verbraucher zur Zahlung eines Preises verpflichtet, mit der vollständigen Erbringung der Dienstleistung, wenn der Verbraucher vor Beginn der Erbringung

a) ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer mit der Erbringung der Dienstleistung vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt,

b) bei einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag die Zustimmung nach Buchstabe a auf einem dauerhaften Datenträger übermittelt hat und

c) seine Kenntnis davon bestätigt hat, dass sein Widerrufsrecht mit vollständiger Vertragserfüllung durch den Unternehmer erlischt.

Was bedeutet das?

Wenn der Vermieter den Mieter darauf hinweist, dass er ein Widerrufsrecht hat und er deswegen die Wohnung erst nach 14 Tagen übergeben kann und dann beide Parteien vereinbaren, dass die Übergabe vorher geschehen soll und damit das Widerrufsrecht erlischt, dann erlischt das Widerrufsrecht tatsächlich. 

Diese Zustimmung des Mieters muss auf einem dauerhaften Datenträger an den Vermieter übermittelt worden sein (per Briefpost, E-Mail oder ähnlichem). Auch die Bestätigung der Kenntnis vom Erlöschen des Widerrufsrechts sollte auch diesem Datenträger zu finden sein.

Im Hinblick auf die nächste Frage: Auch hier dürfte das Anklicken einer Checkbox ausreichen. Wenn dort die Rechtsfolgen und Erklärungen genau definiert sind und dieses Ergebnis dauerhaft gespeichert wird. Die Dauer der Speicherung baucht selbstverständlich die Dauer der Widerrufsfrist nicht zu übersteigen (ggf. mit einem Sicherheitszuschlag für eventuelle Rechtsstreite).

E. Handlungsempfehlung 

Führen Sie eine Besichtigung der konkreten Wohnung mit dem Mieter durch!

Wenn das nicht geht und der Mietvertrag nicht in Ihren Räumen geschlossen wurde, sollten Sie über die Widerrufsmöglichkeit belehren und die Wohnung dann erst mehr als zwei Wochen später an den Mieter übergeben.

Die entsprechenden Muster finden Sie hier.

Autorin: Katharina Gündel, GROSS Rechtsanwaltsgesellschaft
Bildnachweis: Pexels

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