Kann weiterhin vergemeinschaftet werden?
Der BGH hat sich den 11.11. für ein wichtiges Urteil ausgesucht.
16.11.2022Der BGH hat sich den 11.11. für ein wichtiges Urteil ausgesucht. Es ist zu betonen, dass diese Entscheidung nichts mit Karneval oder Fasching zu tun hat. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (neu immer als GdWE abgekürzt) auch nach der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes die auf Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum gerichteten Rechte der Erwerber von Wohnungseigentum weiterhin durch Mehrheitsbeschluss zur alleinigen Durchsetzung an sich ziehen kann. Was ist passiert und was war das Problem?
Aus der Pressemitteilung ergibt sich Folgendes:
Sachverhalt:
Wir haben auf der einen Seite eine GdWE. Auf der anderen Seite steht der aufteilende Eigentümer. Für den zunächst beabsichtigten Bau einer Tiefgarage ließ dieser im Frühjahr 2013 die Böden des Innenhofs und der Außenflächen der Anlage untersuchen. Dabei wurde eine ehemalige Kiesgrube aufgefunden, deren aufgefüllte Böden, wie weitere Untersuchungen zeigten, unterschiedlich mit Schadstoffen belastet sind. Er stoppte daraufhin zunächst den Verkauf und informierte die Stadt München. Behördlich angeordnete Untersuchungen des Oberbodens auf Altlasten ergaben Belastungen.
In einer vom Eigentümer in Auftrag gegebenen gutachterlichen Bewertung der Untersuchungsergebnisse wurde für den Innenhof ein Bodenaustausch bis zu einer Tiefe von 30 cm vorgeschlagen. Auf einen Austausch des tiefer liegenden Bodens könne wegen der geplanten Errichtung der Tiefgarage verzichtet werden. Maßnahmen im südlichen Außenbereich seien trotz der festgestellten Belastungen wegen einer möglichen Einzäunung der betroffenen Bereiche nicht erforderlich.
In der Folgezeit tauschte die Beklagte den Oberboden des Innenhofes in einer Tiefe von 20 cm aus. Der Bau einer Tiefgarage erfolgte dagegen nicht. Es ist also unklar, ob die Maßnahmen, die der Eigentümer vorgenommen hat, ausreichend waren, um die Belastungen zu beseitigen.
In zwei Eigentümerversammlungen im Mai 2014 und im Oktober 2015 beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich die gerichtliche Geltendmachung möglicher Ansprüche wegen Altlasten im Innenhof und im südlichen Außenbereich.
Problemstellung
Nach der bis zum 30.11.2020 geltenden Rechtslage konnte die Gemeinschaft im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung die Ausübung der, den einzelnen Erwerbern aus den jeweiligen Verträgen mit dem Veräußerer, zustehenden Rechte auf ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums durch Mehrheitsbeschluss an sich ziehen und einen Vergemeinschaftungsbeschluss fassen. Diese Regelung zu der "Vergemeinschaftung durch Mehrheitsbeschluss" ist ersatzlos entfallen.
Nunmehr regelt § 9a Abs. 2 WEG nur noch die sogenannte "geborene Ausübungsbefugnis"; danach kann die GdWE die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer ausüben, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern. Sie nimmt dann die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahr.
Die Frage war also: Was passiert mit den Vergemeinschaftungsbeschlüssen der Vergangenheit? Und können heute noch Vergemeinschaftungsbeschlüsse gefasst werden?
Die Antwort auf beide Fragen lautet: JA
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Die GdWE ist für die Geltendmachung des Nachbesserungsanspruchs prozessführungsbefugt. Dies beruht auf den im Mai 2014 und Oktober 2015 gefassten Beschlüssen der Wohnungseigentümer.
Ansprüche aus den Erwerbsverträgen, die die Mängelbeseitigung betreffen, können auch weiterhin durch Mehrheitsbeschluss „vergemeinschaftet" werden.
„§ 9a Abs. 2 WEG nF erfasst jedenfalls nicht die primären Mängelrechte der Wohnungseigentümer. Diese Ansprüche ergeben sich nicht aus dem gemeinschaftlichen Eigentum, sondern aus den individuellen Erwerbsverträgen, die die Wohnungseigentümer mit dem teilenden Eigentümer geschlossen haben. Sie erfordern keine einheitliche Rechtsverfolgung. Denn der Wohnungseigentümer, der selbständig die Mängelbeseitigung gegen den Veräußerer verfolgt, handelt grundsätzlich auch im wohlverstandenen Interesse aller anderen Wohnungseigentümer, und er darf seine vertraglichen Rechte im Grundsatz selbst wahrnehmen.
Eine Vergemeinschaftung der auf das Gemeinschaftseigentum bezogenen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüche der Wohnungseigentümer durch Mehrheitsbeschluss wird durch § 9a Abs. 2 WEG andererseits nicht ausgeschlossen. Die Beschlusskompetenz der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ergibt sich in der Sache unverändert aufgrund der Verwaltungsbefugnis für das gemeinschaftliche Eigentum sowie der in § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG geregelten Pflicht zu dessen Erhaltung. Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung, der zufolge die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Bauträgerrecht, nach der eine Vergemeinschaftung von werkvertraglichen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüchen möglich war, fortgelten soll. Entsprechendes muss für die Vergemeinschaftung von kaufrechtlichen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüchen gelten. Nur diese Sichtweise trägt der nach der Reform unveränderten Interessenlage der Wohnungseigentümer hinreichend Rechnung. Dass die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums nunmehr der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer obliegt, hat nichts daran geändert, dass es Sache der Wohnungseigentümer ist, in der Eigentümerversammlung darüber zu befinden, auf welche Weise Mängel am Gemeinschaftseigentum zu beseitigen sind. Ordnungsmäßiger Verwaltung wird es auch weiterhin in aller Regel entsprechen, einen gemeinschaftlichen Willen darüber zu bilden, wie die ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums zu bewirken ist und ggf. welche vertraglichen Ansprüche geltend gemacht werden sollen.“
Zitiert aus der Pressemitteilung 162/2022 zum Urteil vom 11.11.2022 – V ZR 213/21