Die virtuelle Wohnungseigentümerversammlung ganz ohne physische Präsenz
Jetzt also doch, aber ab wann und wie?
18.07.2024Reine Onlineversammlungen sind in einer Wohnungseigentümergemeinschaft (GdWE) nach bisheriger Rechtslage nicht möglich. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 WEG mussten Wohnungseigentümerversammlungen lediglich als Präsenzversammlungen abgehalten werden oder konnten in hybrider Form stattfinden, also als Präsenzveranstaltung mit Online-Teilnahmemöglichkeit. Bislang scheute sich der Gesetzgeber, reine Onlineversammlungen gesetzlich zuzulassen, es wurde befürchtet, dass insbesondere ältere Eigentümer, die über keinen Internetanschluss verfügen oder nicht so technikaffin sind, nicht vom Stimm- und Rederecht, also dem Kernbereich ihrer Mitwirkungsrechte ausgeschlossen werden könnten. Dies wird sich nun ändern. In diesem Beitrag geht es um die aktuellen Erkenntnisse zur virtuellen Versammlung.
Das Gesetz zur Zulassung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen soll nunmehr im Wohnungseigentumsgesetz eine Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer für virtuelle Wohnungseigentümerversammlungen schaffen.
1. Rechtliche Ausgestaltung des Gesetzes
Nach § 23 Absatz 1 wird folgender Absatz 1a eingefügt:
„(1a) Die Wohnungseigentümer können mit mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen beschließen, dass die Versammlung innerhalb eines Zeitraums von längstens drei Jahren ab Beschlussfassung ohne physische Präsenz der Wohnungseigentümer und des Verwalters an einem Versammlungsort stattfindet oder stattfinden kann (virtuelle Wohnungseigentümerversammlung). Die virtuelle Wohnungseigentümerversammlung muss hinsichtlich der Teilnahme und Rechteausübung mit einer Präsenzversammlung vergleichbar sein.“
2. Tatsächliche Ausgestaltung
Wie alle Beschlüsse der Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer muss auch ein Beschluss über die Durchführung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, vergleiche § 18 Absatz 2 des Wohnungseigentumsgesetzes.
Was bedeutet „ordnungsgemäße Verwaltung“ in diesem Zusammenhang?
Wird die Durchführung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen mit qualifizierter Mehrheit beschlossen, ist auf einen angemessenen Minderheitenschutz zu achten.
Einzelne Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer dürfen durch einen Beschluss über die Gestattung beziehungsweise Durchführung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen nicht unbillig benachteiligt werden.
Hierbei ist zu berücksichtigen, ob die Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer technisch nicht in der Lage sind, an virtuellen Wohnungseigentümerversammlungen teilzunehmen, oder ob sie virtuelle Versammlungen lediglich nicht für das am besten geeignete Versammlungsformat halten.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine unbillige Benachteiligung nicht nur bei virtuellen Versammlungen, sondern auch bei Präsenzversammlungen zu prüfen ist. Beispielsweise ist es möglich, dass Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer wegen körperlicher Beeinträchtigungen ihre Wohnung nicht verlassen und deswegen nicht an Präsenzversammlungen teilnehmen können.
In der Praxis mag es sich anbieten, Wohnungseigentümerinnen und -eigentümern, die mitteilen, für die Teilnahme an virtuellen Wohnungseigentümerversammlungen technische Unterstützung zu benötigen, seitens der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer Unterstützung anzubieten, die es ihnen ermöglicht, an der virtuellen Versammlung in vergleichbarer Weise wie an einer Präsenzversammlung teilzunehmen.
In Betracht kommt beispielsweise die Möglichkeit zur Teilnahme in den Geschäftsräumen des Verwalters (sofern diese Räume angesichts Entfernung und Beschaffenheit dafür geeignet sind), die Teilnahme bei einer Miteigentümerin oder einem Miteigentümer, die Bereitstellung eines Teilnahmeraums oder technische Unterstützung in der Wohnung des betroffenen Wohnungseigentümers.
Die Frage der Unterstützung sollte bereits bei der Beschlussfassung erörtert werden, sofern entsprechender Bedarf angemeldet wird. Der Beschluss über die Durchführung bzw. Gestattung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen kann vorsehen, dass Unterstützungsmaßnahmen anzubieten sind.
Zusammenfassung
1. Inkrafttreten des Gesetzes nach Zustimmung des Bundesrates
Der Gesetzesentwurf bedarf zwar noch der Zustimmung des Bundesrates, mit gravierenden Änderungen ist aber wohl nicht mehr zu rechnen, sodass das Gesetz voraussichtlich zum 01.01.2025 in Kraft treten wird.
Nach der Gesetzesänderung können die Wohnungseigentümer mit einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen die Möglichkeit rein virtueller Eigentümerversammlungen in ihrer Gemeinschaft beschließen; die Erlaubnis ist auf einen Zeitraum von drei Jahren ab Beschlussfassung begrenzt.
Wird der Beschluss zur Einführung der virtuellen Eigentümerversammlung bis Ende 2027 gefasst, müssen die Eigentümer dennoch bis einschließlich 2028 mindestens einmal jährlich eine Präsenzversammlung abhalten; auf dieses Erfordernis kann nur durch einstimmigen Beschluss verzichtet werden.
2. Ausgestaltung des Beschlusses
Der Beschluss, mit dem die Durchführung reiner Onlineversammlungen ermöglicht werden soll, muss den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen.
Das bedeutet vor allem auch, dass die virtuelle Wohnungseigentümerversammlung hinsichtlich der Teilnahme und Rechteausübung mit einer Präsenzversammlung vergleichbar sein muss.
Nach der Vorstellung des Gesetzgebers müssen Minderheitenrechte angemessen berücksichtigt werden. Konkret bedeutet dies, dass Eigentümern, die über keinen Internetanschluss verfügen oder aus anderen Gründen faktisch nicht in der Lage sind, online an der Versammlung teilzunehmen und dies gegenüber der Gemeinschaft auch bekannt geben, muss auf geeignete Weise ermöglicht werden, dennoch online teilzunehmen. Der Gesetzgeber stellt sich insoweit vor, das die Teilnahme in den Geschäftsräumen des Verwalters erfolgen kann – sofern dessen Geschäftsräume nicht zu weiter entfernt liegen oder aber ein (Online-) Teilnahmeraum eingerichtet oder aber die Teilnahme durch einen anderen Teilnehmer ermöglicht wird.
Hat ein Eigentümer die WEG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er technisch oder tatsächlich nicht in der Lage sein wird, online an der Versammlung teilzunehmen, muss die GdWE diesen Eigentümern entsprechende Unterstützung anbieten, um dessen Online-Teilnahme zu ermöglichen. Tut sie dies nicht, dürfte der Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung widersprechen. Allerdings obliegt es dann, den überstimmten Eigentümern, den Beschluss anzufechten. Tun sie dies nicht, wird er Beschluss bestandskräftig, da durch die Gesetzesänderung eine grundsätzliche Beschlusskompetenz besteht, eine rein virtuelle Versammlung ohne physische Präsenz mit einer ¾ Mehrheit zu beschließen.
3. Fazit
Eigentümer können zukünftig wählen, ob sie Eigentümerversammlungen in Präsenz, hybrid oder rein virtuell durchführen möchten, denn alle übrigen Regelungen insbesondere zur hybrid Versammlung neben der Neuregelung bestehen. Dies werden vor allem ortsferne und institutionelle Eigentümer begrüßen, ermöglicht der GdWE aber auch in Pandemiezeiten handlungsfähig zu bleiben. Die Minderheitenrechte sind im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung zu berücksichtigen, indem z.B. durch entsprechende Hilfestellung einzelnen Eigentümern die Online-Teilnahme ermöglicht werden sollte.
Autor: Rechtsanwalt Michael Schmidt M.L.E., GROSS Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Verwendete Quelle: Deutscher Bundestag Drucksache 20/12146 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)
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